Niemand hätte die beschwerliche Reise und den ungewohnten Kostümzwang auf sich genommen, wenn es sich nicht um ein kulturelles Ereignis von erregender Einmaligkeit handelte.

Den Karneval der Tiere.

Eine nicht mehr ganz junge Waldameise tippt dem vor ihr sitzenden Erdferkel

auf die Schulter: >Entschuldigen Sie, ich kann nichts sehen, wenn Sie den Hut aufbehalten.< Mürrisch, nimmt das Erdferkel den Kopfputz ab ... ein sperriges Flechtwerk aus Spargelkraut und Hühnerfedern. Die Ameise bedankt sich und lässt den Blick über die Urwaldlichtung schweifen.
Viertausendsiebenhundertundeinundneunzig seltsam kostümierte Tiere, zählt sie allein auf den Sitzplätzen der Arena. Ganz zu schweigen von den unzähligen Affen und Vögeln, die sich in den überlastenden Wipfeln der Bäume drängen.
Soeben kommt eine leichte Unruhe auf, denn der Mond löst sich zum Zeichen des Beginns aus den Ästen des Mangobaums. >Ich glaube ich höre etwas,< sagt eine Taube ... und sie hat so unrecht nicht. Denn dort drüben, neben dem Eingang, in den Zweigen der kahlen Eiche, setzen vierundsechzig Uhus ihre Instrumente an. Und jetzt hebt der Marabu den Taktstock. Die beiden Eichhörnchen am Flügel

greifen in die Tasten.
Und da, tritt ER in die Arena, mit der ganzen königlichen Verwandtschaft, seine Majestät ... der Löwe.

Der Löwe hat unter mäßigem Beifall zwei Runden abgeschritten und gelangweilt in die Menge gewinkt. Sodann hat er sich samt seiner Gattin, seinen drei Söhnen, einer Tochter, fünf Vettern und Cousinen, sowie einer falbfarbenen Tante, auf den Ehrenplätzen niedergelassen und die Augen geschlossen.
Kommen jetzt die Hühner?< fragt der Fuchs seine Lebensgefährtin.

>Nimm Dich zusammen<, will sie sagen, aber es verschlägt ihr die Sprache. Eine kunstvolle fünf Meter hohe Pyramide aus siebenundsiebzig gut gewachsenen braunen Hühnern trippelt herein. Auf ihrer Spitze, balanciert ein Hahn. Im Kostüm des Kaisers Napoleon.

Die Hühner eilen erhitzt dem Ausgang zu, der Hahn nimmt starren Auges, den Applaus entgegen.
Und da ... stürmen sechs wilde Esel in die Manege. >Bravo<, applaudieren die Säugetiere. Auch alle Fische, Vögel und Insekten. Nur ein auffälliger nackter Mehlwurm

schüttelt den Kopf und sagt: >Ich bevorzuge das Pariser Schildkrötenballett. Oh ... sie kommen, sie kommen, seht nur ... wie rhythmisch sie die Beine heben!< Der Mehlwurm, wirft den Schildkröten Kußhändchen zu. >Toll,< sagt er.
Sein Nachbar, ein afrikanischer Elefant mit angeklebtem Schnurrbart, teilt diese Ansicht nicht. >Einer Schildkröte fehle zum Tanz die nötige Anmut,< meint er von oben herab und fügt hinzu: er kenne nur eine lebende Tänzerin von Format; seine Gattin nämlich. Und da schwingt sie auch schon herein, in wehende weiße Schleier gehüllt, Kopf und Rüssel stolz erhoben. Die Augen halb geschlossen, in verhaltender Leidenschaft.

>Na, was sagen Sie nun?< Der Elefant sieht dem Mehlwurm scharf ins Auge.

Dieser möchte weder lügen, noch den empfindlichen Elefanten unnötig reizen und so sagt er: >Tja...<
Der Elefant hat eine Erwiderung auf der Zunge, aber ganz unerwartet hüpfen Känguruhs mit weißen Häubchen zwischen die Reihen, um Erfrischungen anzubieten. Ein verspätetes Nilpferd findet seinen Sitz in der elften Reihe von einem Krokodil belegt, das zu schlafen scheint. Einen Augenblick belauscht das Nilpferd die gleichmäßigen Atemzüge des Krokodils und nimmt dann, vorsichtig, auf dem unteren Ende des länglichen Tieres Platz.
Inzwischen haben vier Esel ein kugeliges Aquarium in die Manege getragen. Sieben lachsfarbige, japanische Schleierschwänze schwimmen darin im Kreise und lassen silberne Bläschen steigen. Wobei sie zu lächeln versuchen.
Und während die Esel das kugelige Aquarium, samt Schleierschwänzen von dannen tragen, singen sie eine alte Weise, von Liebe, Lust und Leid.
Ein Murmeltier hat sich die Ohren zugehalten. >Heute singt auch jeder Esel,< sagt es und beäugt den Kuckuck,

im schlechtsitzenden Federkleid, der jetzt zum Flügel hüpft, um seine Gesangsdarbietung selbst zu begleiten. Der Kuckuck ist verstummt und es herrscht tiefe Stille, das Erdferkel hat verweinte Augen. Auch der Elefant. Auch das Nilpferd und der Fuchs.

Die Ameisen und der Mehlwurm auch.
>Kommt jetzt der Schwan?< fragen drei junge Katzen.

>Nein ... die Kolibris< sagt die alte Katze.

>Seht nur ... zweitausend Kolibris!< Und husch, wie sie kamen, schwirren sie davon. Schräg durch die kahle Eiche, daß sich die vierundsechzig Uhus ducken müssen.
>Kommt jetzt der Schwan?<, fragen die jungen Katzen.

>Sitzt gerade und haltet den Schnabel,< sagt die Alte.

>schaut, die beiden Eichhörnchen am Klavier, sie hopsen auf den Tasten!<

Noch während sich die Eichhörnchen an den Händen halten und zierliche Verbeugungen machen, tritt ein dicklicher Biber in die Runde.

>Leider< so sagt er >findet der Gesang der Fossilien nicht wie vorgesehen statt. Das hohe Alter des einst weltberümten Gesangsquartetts, man spräche von mehreren millionen Jahren, habe es an der Reise gehindert. Zum Glück jedoch, habe man das Orchester überreden können, die Fossilienschlager, auf ihren Instrumenten vorzutragen. Er wünsche, angenehme Unterhaltung.<
>Kommt jetzt der Schwan?< fragen die jungen Katzen.

>Pssscht< sagt die Alte.

Nach freundlichem Beifall, vornehmlich aus den Reihen älterer Leguane, Nashörner und Schildkröten, nähert sich das Fest dem Höhepunkt. 29 Maulwürfe, haben ein Bachbett vom nahen Urwaldsee bis zum Rand der Manege gewühlt. Und nun, löst der Biber das versteckte Wehr. Gänzlich unerwartet, erwächst ein Teich, inmitten der Festgemeinde. Und da, kommt der Schwan hereingeglitten. Im Mondlicht, silberweiß. Geschmückt, mit duftenden Hibiskusblüten.

>Ein eitler Schwachkopf<, sagt der Fuchs, doch niemand hört es. >Da capo< applaudiert ein gesprenkeltes Kaninchen.

Aber das Fest ist zu Ende. Schon gibt der Löwe das Zeichen zum Aufbruch. Der Marabu hebt noch einmal den Taktstock, die Eichhörnchen greifen in die Tasten, die Uhus fallen ein, der Löwe schreitet dem Ausgang zu. Mit ihm die Elefanten, die Erdferkel, die Biber, Ameisen, Mehlwürmer, Maulwürfe, Känguruhs, Katzen und Schildkröten. Die Esel, Hühner, Füchse und Kolibris. Hüpfend und tirillierend entschwinden sie hinter Bäumen und Bergen, woher sie gekommen waren.

LG Himbi

PS.: Wahrscheinlich weiß nur Gott und vielleicht 5 andere allein, warum manche Bilder groß und manche klein werden...

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